Mestemacher Preis Spitzenvater des Jahres 2008
Jürgen Kühn
Ali Mahmoud
Rede zur Verleihung des Mestemacher-Preises “Spitzenvater des Jahres” 2008 am 28.02.2008 in Berlin
DR. LORE MARIA PESCHEL-GUTZEIT,
RECHTSANWÄLTIN, BERLIN, SENATORIN FÜR JUSTIZ A. D.,
Vater werden ist nicht schwer – Vater sein dagegen sehr… Diese Erkenntnis des philosophischen Spötters Wilhelm Busch stimmt, aber sie ist unvollständig. Denn Mutter sein ist nicht weniger schwer mit dem Unterschied, daß der Weg dahin ziemlich beschwerlich ist – die Mütter hier im Raum werden mir Recht geben. Aber das Vatersein, das Muttersein will gelernt sein, es ist keineswegs selbstverständlich, daß Mann und Frau ein kleines neues Menschenkind vom ersten Moment an lieben, daß sie es richtig versorgen, seine Bedürfnisse sicher erkennen und darauf angemessen reagieren. Jede Mutter, jeder Vater kennt diese Hilflosigkeit gegenüber einem so kleinen Wurm, jeder hat die Angst, zu versagen, irgend etwas falsch zu machen.
Das gilt für beide Eltern – mit einem wichtigen Unterschied: Von der frisch gebackenen Mutter erwarten Familie, Nachbarn, Freunde, kurz die Gesellschaft qua Tradition und Konvention, daß sie den Zugang zum Kind ohne weiteres, quasi automatisch findet, während der Vater in dieser frühen Phase des Lebens eines Kindes über Jahrhunderte hinweg quasi nicht stattfand, nicht gefragt war, keine Zuständigkeit hatte. Jeder kennt die Geschichten von früher, in denen einem Vater das neugeborene, frisch gewickelte Kind gereicht wurde und er damit eher ungelenk umging und froh war, wenn er das Kind an die nächste weibliche Person weiterreichen konnte.
Man könnte also sagen: Bis weit in das vorige Jahrhundert hinein wurden Kinder fast ausschließlich von den Müttern tatsächlich und physisch versorgt, jedenfalls bis sie ins Schulalter kamen, oft noch darüber hinaus. Der Vater nahm faktisch an Versorgung und Erziehung der Kinder nicht teil. In diametralem Gegensatz hierzu stand allerdings seine Rechtsposition: Der Vater war der Patriarch, das Oberhaupt der Familie und hatte das alleinige Bestimmungsrecht über das Kind. Er entschied allein, welche vorschulische Versorgung das Kind erhielt, welche Schule es besuchte, welche Freizeitaktivitäten es ausüben durfte, um nur einiges zu nennen. Er war der alleinige gesetzliche Vertreter des Kindes, war alleiniger Inhaber der elterlichen Gewalt, wie sie damals noch hieß, die Mutter hatte nur eine sogenannte Nebengewalt, also das Recht zur tatsächlichen Versorgung des Kindes.
Dieser Zustand beschreibt nicht etwa das Mittelalter, sondern unsere jüngste Rechtsgeschichte. Er blieb unverändert, trotz zweier Weltkriege und trotz der millionenfachen jahrelangen Abwesenheit vieler Väter, trotz des traurigen Umstandes, daß viele Väter aus den Kriegen nicht zurückkamen. Zwar wurde in einem solchen Fall die Mutter für das Kind allein zuständig, sie erhielt die elterliche Gewalt, gleichzeitig aber auch regelmäßig einen vom Gericht bestellten Beistand, der sie in der Ausübung der elterlichen Gewalt zu unterstützen hatte. Im übrigen blieb sie auch nur so lange Inhaberin der elterlichen Gewalt, wie sie verwitwet war. Heiratete sie erneut, verlor sie die elterliche Gewalt, das Kind erhielt einen Vormund.
Erst als nach dem zweiten Weltkrieg Deutschland im Jahre 1949 seine Souveränität wieder erlangte und als zwei deutsche Staaten mit eigenen Verfassungen entstanden, änderte sich dies: Die Geschlechter und damit auch die Eltern wurden gleichberechtigt und sind es bis heute. Es würde den Rahmen unserer heutigen Überlegungen sprengen, würde ich nachzeichnen, welche Irrungen und Wirrungen anschließend Gesetzgeber und Gerichte zu durchlaufen hatten, bis der heutige Rechtszustand erreicht war. Nur so viel:
Erst seit 1959, also seit ca. 50 Jahren, entscheiden beide Eltern gemeinsam, keiner von ihnen hat die Letztentscheidung. Und erst seit 10 Jahren sind beide Eltern nicht nur von Geburt an gleichmäßig an der elterlichen Sorge beteiligt (das waren sie schon seit 1958), sondern sie bleiben dies grundsätzlich auch trotz Trennung und Scheidung. Und derjenige Elternteil, bei dem das Kind nicht lebt, hat ein umfangreiches Umgangsrecht, das übrigens – auch erst seit 10 Jahren – ein eigenes, ausdrückliches Recht des Kindes ist, das nämlich das Recht zu Kontakt mit beiden Eltern spätestens seit Ratifizierung der UN-Kinderkonvention hat.
Nun ist mit der rechtlichen Gleichstellung der Eltern natürlich noch nichts darüber gesagt, wie sich diese im Alltag, in der tatsächlichen Versorgung des Kindes auswirkt. Solange die Eltern zusammenleben, regeln sie mehr oder weniger partnerschaftlich die Verteilung ihrer Aufgaben in der Familie. Das ursprüngliche Leitbild der Hausfrauenehe gibt es seit 1977, also seit 30 Jahren, auch im Gesetz nicht mehr, seither regeln die Ehegatten die Haushaltsführung im gegenseitigen Einvernehmen, und seither sind beide Ehegatten berechtigt, erwerbstätig zu sein. Dabei haben sie allerdings auf die Belange des anderen Ehegatten und der Familie Rücksicht zu nehmen.
Inzwischen kommt es immer häufiger vor daß die traditionelle Funktionsteilung zwischen den Eltern, die ich am Anfang beschrieben habe, abgelöst wird von einer vereinbarten Abwechslung der Rollenwahrnehmung innerhalb der Partnerschaft: Jeder Elternteil versorgt dann über eine gewisse Zeit das Kind und kehrt sodann in seine Erwerbstätigkeit zurück oder aber verbindet beides teilzeitig, während im Anschluß der andere Elternteil die Familienarbeit übernimmt oder während beide Eltern dies jeweils teilzeitig ausüben. Unsere Spitzenväter sind Beispiele solchen modernen Funktionswechsels innerhalb der Elternschaft und sie werden inzwischen erleben und erfahren haben, wie fruchtbar es für alle Familienmitglieder ist, die Kinder selbst zu versorgen, sie kennenzulernen und aufwachsen zu sehen, ihr Vertrauen, ihre Zuneigung zu gewinnen und ihnen die Sicherheit der unverlierbaren Elternliebe zu vermitteln, ohne deshalb auf der anderen Seite auf Beruf und Fortkommen, auf Anerkennung außerhalb der Familie verzichten zu müssen. Eine solche Aufgabenverteilung kommt wirklich allen Beteiligten zugute, auch wirtschaftlich, vorausgesetzt, auch die Familienarbeit wird gleichmäßig und gerecht zwischen den Eltern aufgeteilt.
Hier liegt noch manches im Argen, das hat Gründe, die vor allem in der von mir eingangs geschilderten Tradition liegen und die noch nicht sehr lange überwunden sind. Denn wer selbst in einer Familie mit traditioneller Rollenverteilung aufgewachsen ist, wird seine Kinder vermutlich ähnlich erziehen, so daß das Umdenken, die Akzeptanz anderer Lebensweisen zäh und mühselig ist.
Unsere Spitzenväter heute haben dies geschafft – dazu gratuliere ich sehr herzlich – aber nicht nur sie. Ihre Frauen haben diesen Prozeß ebenfalls durchlaufen und erfolgreich bewältigt. Denn natürlich muß auch eine Mutter Kompetenz und scheinbare Alleinzuständigkeit abgeben, wenn der Vater einen erheblichen Teil der Familienarbeit übernimmt. Er tut dies in eigener Zuständigkeit und nicht etwa als Weisungsempfänger der Mutter; und dies zu akzeptieren fällt Frauen nicht immer leicht. Nur führt kein Weg daran vorbei. Erst wenn ein Mann selbstverständlich Kinder und Hauswirtschaft in der auf ihn entfallenden Zeit selbständig erledigt, ist auch er gleichberechtigt in der Familie angekommen, ebenso wie die Frau wirtschaftlich gleichberechtigt ist, die in ihrem Beruf tätig ist oder bleibt und so Anteil am Familieneinkommen erzielt. Ist dieser Zustand erreicht, erledigen sich übrigens viele potentielle Streitmöglichkeiten von selbst.
Dennoch gelingt es nicht stets, die Familie zusammenzuhalten. Wir wollen und können hier nicht nur der heilen Welt das Wort reden, die Wirklichkeit um uns herum sieht anders aus:
In den Großstädten wird durchschnittlich jede 2. Ehe geschieden, in ländlichen Bereichen jede 3. Ehe, mehr als 2 Mio. Menschen leben unverheiratet zusammen, viele haben gemeinsame Kinder. In dieser Situation kommt es fast noch mehr als bei harmonisch zusammenlebenden Eltern darauf an, daß der Vater seine Rolle und Funktion in der Familie bereits erworben hat und sie trotz Trennung der Eltern beibehält. Ich will diesen schönen Vormittag nicht mit trüben Gedanken belasten, aber Sie alle werden Beispiele kennen, in denen die Eltern auseinandergehen und sodann erbittert um das Kind kämpfen und darum, bei wem das Kind künftig lebt, wer es erzieht und wer auf der anderen Seite quasi aus dem Leben des Kindes ausscheidet. Dies sind sehr traurige Momente und viele Väter, die sich bisher nur wenig um das eigene Kind gekümmert haben, erleben dies als Albtraum. Je besser, intensiver und gelebter die Vater-Kind-Beziehung von Anfang an war, um so eher können Lösungen gefunden werden, die dem Kind beide Eltern erhalten. Gemeint sind Wechselmodelle, in denen das Kind in einem gewissen Rhythmus von einem Elternteil zum anderen wechselt und dort selbstverständlich seinen Alltag erlebt. Solche Modelle verlangen viel, von Eltern und von Kindern, sind aber eine Möglichkeit, vielleicht sogar die einzige, um einem Kind trotz Elterntrennung Vater und Mutter in bewusster und gelebter Liebe zu erhalten.
Freilich gibt es hiergegen immer wieder erhebliche Widerstände, die vor allen Dingen von Müttern, wohl aber auch von Jugendämtern und Gerichten kommen und bei denen sich die Tradition erneut bahnbricht, etwa nach dem Motto “Mein Kind gehört zu mir, was will der Vater plötzlich mit dem Kind, usw.”. Hat eine Mutter sich während des Zusammenlebens der Eltern mit dem Vater dahin geeinigt, daß beide das Kind oder die Kinder gleichmäßig versorgen, so ist die Mutter daran selbstverständlich auch nach der Trennung gebunden. Sie hat nicht das Recht, dem gemeinsamen Kind nun die Fürsorge und Liebe des Vaters vorzuenthalten. Denn das Kind braucht beide Eltern, gerade auch in Zeiten der Elterntrennung. Das ist zugegebenermaßen sehr schwer und fällt auch vielen Eltern schwer.
Eine noch schwierige Situation besteht bei nicht miteinander verheirateten Eltern. Zwar können sie, auch erst seit 10 Jahren, gemeinsam sorgeberechtigt sein, wenn die Mutter damit einverstanden ist. Aber im Falle der Trennung hält dieses Einverständnis oft nicht, beide Eltern bemühen sich dann um die Alleinsorge für das Kind. Und das Kind ist der Verlierer. Ist gar die Mutter alleinsorgeberechtigt, führt das sehr häufig dazu, daß der Vater für das Kind “nicht mehr stattfindet”. Mein Appell an alle Eltern heißt deshalb:
Erhalten Sie auch in Krisenzeiten dem Kind beide Eltern, begegnen Sie sich als Eltern weiter mit Respekt, sozusagen auf Augenhöhe, mag auch in der Partnerschaft vieles zerbrochen sein.
Das gelingt nach meinen langjährigen Erfahrungen als Familienrechtlerin am besten, wenn die Väter von Geburt des Kindes an dessen Versorgung, Betreuung und Förderung paritätisch übernommen haben. Das Kind gedeiht so am besten, die Mutter gewinnt auf diese Weise durch Anschauung die Gewissheit, daß der Vater das Kind ebenso liebt wie sie selbst, daß er das Kind genauso gut versorgen kann, daß er dieselbe Verantwortung für das Kind trägt wie sie. Und der Vater erlebt damit von Anfang an eine nicht geplante und wohl nicht vorstellbare Bereicherung seines Lebens.
Genug dieser ernsten Worte: Hier und heute sollen zwei Spitzenväter gefeiert und geehrt werden, die alles richtig machen, die ihre Kinder selbstverständlich und gleichberechtigt versorgen und erziehen, die selbst interessante Berufe haben und ihren Partnerinnen Verbleib und Aufstieg in dem Beruf dadurch ermöglichen, daß sie die Arbeit mit dem Kind und im Haus mit zu ihrer eigenen Aufgabe machen. Dies, davon bin ich überzeugt, ist ein Modell der Zukunft. Wenn die Familie selbst es durch eigene Kreativität, durch eigene Energie, idealerweise mit Unterstützung des Arbeitgebers, schafft, Familie und Beruf so zu koordinieren, daß Kinder, Partnerschaft und Beruf sich glücklich entwickeln, ist dies der beste Garant für eine glückliche Elternschaft und für eine haltbare Partnerschaft.
Frau Professor Detmers hat mit der Schaffung des Preises für Spitzenväter diese Zeichen der Zeit sicher erkannt und umgesetzt. Hierfür gebührt ihr großer Dank und Anerkennung. Ihr und den bisherigen und neuen Spitzenvätern gratuliere ich sehr herzlich.